Enquete-Kommission für den Klimaschutz

Die Klima-Enquete

Wie Bremen bis 2040 klimaneutral wird

Die Bremische Bürgerschaft hat Anfang 2020 eine Enquetekommission eingesetzt, die erste des Landes Bremen überhaupt. Die „Enquete-Kommission für den Klimaschutz“ war im Herbst 2019 auf Antrag der CDU-Fraktion ins Leben gerufen worden. Die Enquete ist kein weiterer ständiger Ausschuss, sondern ein eigenes Gremium, das frei von politischen und wirtschaftlichen Interessen über eine „Klimaschutzstrategie für das Land Bremen berät“. Alle Fraktionen der Bremischen Bürgerschaft haben Abgeordnete sowie externe Sachverständige benannt, die gemeinsam Lösungen erarbeiten.

Beauftragt wurde die Enquete-Kommission mit der Bearbeitung von Fragestellungen und der Erarbeitung von konkreten Vorschlägen zu allen klimarelevanten Themenbereichen. So soll sie ein aus dem Pariser Klimaschutzabkommen abgeleitetes Klimaschutzziel 2030 für das Land Bremen festlegen, verschiedene Klimaschutzszenarien erarbeiten und Ziele und Handlungsempfehlungen für einzelne Sektoren festlegen.

Der klimapolitische Sprecher der CDU-Fraktion Martin Michalik ist der Vorsitzende der ersten Bremer Enquetekommission.

Martin Michalik, Vorsitzender der Klima-Enquete

Das sind unsere Experten für die Enquete-Kommission und Dekarbonisierung in Gebäuden, Bau und Verkehr

Am 9. März hat die CDU Fraktion ihre drei Experten für die Klima-Enquete benannt. Sie besetzen vor allem die Themen Energie und Dekarbonisierung in Bau und Verkehr.

Der klimapolitische Sprecher und Vorsitzende der Enquete-Kommission Martin Michalik freut sich sichtlich über die Besetzung seiner Enquete. „Wir haben uns intensiv mit möglichen Kandidaten und ihren Themenfeldern auseinandergesetzt“, berichtet er. „Letztlich haben wir drei Expertinnen und Experten gefunden, die national und international renommiert sind und teilweise bereits Erfahrungen aus anderen Enquete-Kommissionen mitbringen. Das fördert ein Out-of-the-box-Denken und lässt uns Bremen auch von außen betrachten.“

Die benannten Kandidaten sind Hans Erhorn, Dr. Wiebke Zimmer und Dr. Felix Matthes. Vor ihnen waren bereits die CDU-Fraktionssprecher Martin Michalik, Jens Eckhoff und Silvia Neumeyer für die Enquete benannt worden. Martin Michalik will nun so schnell wie möglich konkrete Ergebnisse sehen. „Wir wollen endlich echte Ziele und Maßnahmen erarbeiten, die unser Klima schützen und gleichzeitig wirtschaftlich und sozialverträglich für Bremen sein werden“, sagt er.

Dr. Felix Matthes

Dr. Felix Matthes

Dr. Felix Matthes arbeitet seit 2009 als Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik am Öko-Institut. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in Dekarbonisierungsstrategien, Kohleausstieg sowie der Berechnung von zukünftigen Energiebedarfen und CO2-Emissionen. 2018 war er Mitglied der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ („Kohle-Kommission“) der Bundesregierung. Von 2000 bis 2003 war er sachverständiges Mitglied in der Enquete-Kommission „Nachhaltige Energieversorgung unter den Bedingungen der Globalisierung und der Liberalisierung“ des Deutschen Bundestages. Als Elektrotechniker promovierte er zusätzlich im Fach Politikwissenschaft an der FU Berlin.

Dr. Wiebke Zimmer

Dr. Wiebke Zimmer

Dr. Wiebke Zimmer arbeitet seit 2013 als stellvertretende Leiterin am Öko-Institut im Bereich Ressourcen & Mobilität. Zu ihren Schwerpunkten zählen u.a. Politikberatung im Bereich Umwelt und Verkehr, Entwicklung von Strategien zur CO2-Reduktion im Verkehrssektor sowie Szenarienentwicklung und Emissionsberechnungen. Von 2001 bis 2004 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Umweltbundesamt in der Abteilung Umwelt und Verkehr. 2001 promovierte sie im Fachbereich Physik an der FU Berlin.

Hans Erhorn

Hans Erhorn

Hans Erhorn ist anerkannter Experte im Bereich des kommunalen Energiemanagements und war für viele kommunale Projekte verantwortlich, z.B. den Masterplan Klimaschutz für die Landeshauptstadt Stuttgart. Besonders für die Dekarbonisierung des Gebäudesektors ist er national und international bekannt. Bis 2018 er die Abteilung Wärmetechnik am Fraunhofer-Institut für Bauphysik, seit 2018 ist er dort als Principal Advisor im Bereich Energiesparendes Bauen tätig. Dem gebürtigen Norddeutsche liegt der Klimaschutz in Bremen am Herzen.

Wie wir bis 2038 klimaneutral werden könnten

Es ist eine Mammutaufgabe, die sich die CDU-Fraktion im Einklang mit den anderen Bürgerschaftsfraktionen gesetzt hat: Die Enquete-Kommission unter CDU-Führung muss herausfinden, wie das Land den Klimaschutz wirksam umsetzen kann. In Bremen hat das viel mit Stahl zu tun.

„Das war eine der wichtigsten Sitzungen“, sagt Martin Michalik, Vorsitzender der Enquete-Kommission für den Klimaschutz im Land Bremen und umweltpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion Mitte September. Die Enquete hatte gerade in den Räumlichkeiten der Stahlwerke Bremen getagt – kein zufällig gewählter Ort.

Geht es um den von der Industrie verursachten Ausstoß von Kohlenstoffdioxid, liegt das Stahlwerk mit rund vier Millionen Tonnen (Stand 2017) an erster Stelle. Klar, dass gerade hier geprüft wird, wie dekarbonisiert, also kohlenstoffhaltige Emissionen reduziert werden können. „Wenn wir Klimaneutralität erreichen wollen, müssen wir auf regenerative Energien umstellen“, sagt Michalik. „Deshalb ist es so wichtig, Experten, Unternehmer und Politik an einen Tisch zu bekommen und herauszufinden, wie ein realistischer Weg zu grünem Stahl in Bremen beschritten werden kann.“

Kaffee und Bier emittieren mehr als Autoindustrie

Überraschend: Auf Platz 2 direkt nach der Stahlindustrie steht im verarbeitenden Gewerbe die Nahrungsmittelbranche mit 132.000 Tonnen CO2-Ausstoß (Stand 2017). Kaffeeröstereien und Brauereien tragen hier die größte Last. „Das hat einen einfachen Grund: Zur Herstellung und Veredelung von Lebensmitteln wird viel Strom und Wärme benötigt, das ist sehr CO2 intensiv“, erklärt Michalik. „Aber egal wo: Wir müssen für jeden Sektor eine Lösung finden.

Die Hoffnung liegt auf vier Strategien

Im Kern setzen Politik und Experten daher auf vier Strategien, mit denen die Dekarbonisierung gelingen kann. Erstens: eine effizientere Energienutzung. Isolierungen, effizientere Brenner und die Nutzung von Abwärme tragen viel dazu bei. Zweitens: Abfallbiomasse, die besonders in der Nahrungsmittelindustrie stark anfällt und direkt genutzt werden kann. Die dritte Strategie ist die Elektrifizierung: Möglichst viele Produktionsprozesse werden mit Energie aus Strom umgestellt, der zunehmend und zukünftig vollständig aus erneuerbaren Energien kommt. Und viertens: Wärmeprozesse werden an die Fernwärme angeschlossen. Denn auch Fernwärme kann, ähnlich wie Strom, aus regenerativen Quellen bezogen werden. 

Mehr politische Unterstützung gegen „dreckigen“ Stahlimport

„Wenn wir diese vier Strategien kombinieren, könnten wir einen immensen Beitrag zur Dekarbonisierung im Industriesektor leisten“, so Michalik. „Aber für Bremen mit dem besonderen Sektor der Stahlproduktion kommt noch ein fünftes Element hinzu: Die Nutzung von Wasserstoff.“ Für diese Transformation benötige das Bremer Stahlwerk mehr politische Unterstützung, meint Michalik. „Wir müssen rund 4.000 Arbeitsplätze erhalten und gleichzeitig die industriellen Kompetenzen in der Stahlfertigung. Das geht nur, wenn es faire Wettbewerbsbedingungen auf dem internationalen Stahlmarkt gibt. Grüner Stahl darf gegenüber dreckigem, importierten Stahl nicht im Nachteil sein“, fordert der CDU-Klimaexperte.

„Wir müssen dicke Leitungen legen“

Um die Verteuerung für fossile Energien, die CO2-Bepreisung und Klimazölle – sogenannte CO2-Grenzausgleichsmaßnahmen – auf importierten Stahl kümmern sich die EU-Kommission und die Bundesregierung bereits. „Ich erwarte, dass sich der rot-grün-rote Senat in Berlin und Brüssel für die Belange unseres Stahlwerkes einsetzt“, sagt Martin Michalik. „Wir müssen dicke Leitungen legen, um Wasserstoff und grünen Strom zu nutzen. Der Senat muss jetzt anfangen, die Voraussetzungen zu schaffen, Genehmigungen zu erteilen und eine Roadmap für die Transformation zu erstellen.“ Sonst würde Bremen die vereinbarten Klimaziele und Null-Emissionen bis spätestens 2050 nicht erreichen können.


„Gerade in Küstenregionen haben Klimaschutzstrategien beträchtliche Chancen“

Dr. Felix Matthes vom Öko-Institut ist Mitglied der Enquete-Kommission „Klimaschutzstrategie für das Land Bremen“. Uns erklärt er, warum er Teil der Kommission geworden ist.

Als die Bundesregierung am 13. Juni 1990 das erste deutsche Klimaschutzprogramm verabschiedete, konnte sich wohl niemand vorstellen, welches ehrgeizige Ziel die Europäische Union 30 Jahre später verfolgen würde. Klimaneutralität – also nicht mehr klimaschädliche Gase in die Atmosphäre freizusetzen als mit natürlichen oder technischen Mitteln aus der Atmosphäre entfernt werden können. Wirtschafts- und Konsumstrukturen müssen neu organisiert werden. Und dieses Vorhaben erfasst natürlich auch Deutschland sowie seine Bundesländer und Kommunen.

Die Einigung fehlt

Nun hat Klimapolitik in Deutschland ganz sicher keinen Mangel an Zielen, aber doch eine gemischte Bilanz bei der Erreichung dieser. Das liegt auch daran, dass Bund, Länder und Kommunen viele unterschiedliche Klimaschutzinstrumente nutzen. Es fehlt die Einigung auf Strategien, auf Handlungsfelder also, die mit möglicherweise flexibler Instrumentierung robust und dauerhaft – und das heißt auch über Legislaturperioden hinaus– bearbeitet werden.

In diese Lücke stößt die Enquete-Kommission der Bremischen Bürgerschaft. Sie wird die Rahmensetzungen auf europäischer und Bundesebene thematisieren. Und sie wird vor allem die spezifischen und letztlich originären Handlungsfelder, Herausforderungen und Chancen eines großstädtisch geprägten Bundeslandes in den Blick nehmen.

Klimaschutz ist keine Fachpolitik

Die originären Handlungsfelder sind wichtig, gerade mit Blick auf das Zwischenziel 2030: Wie und wie weit können Fortschritte auf dem Weg zum klimaneutralen Gebäude erzielt werden? Was bedeutet das technologisch und strukturell für das Verkehrssystem eines Ballungsraums? Wie kann die Fernwärme „grün“ gemacht werden? Und wie kann die Industrie im Prozess sehr grundlegender technologischer Veränderungen unterstützt werden?
Bevölkerung und Wirtschaft dürfen in diesem Prozess aber nicht sozial und wirtschaftlich hart getroffen werden. Stattdessen muss die Leistungsfähigkeit der verschiedenen Institutionen, bei den bevorstehenden Veränderungen zusammenzuwirken und Klimaschutz aus der Ecke einer Fachpolitik herauszuholen, gestärkt werden.

Leuchtturmprojekte Offshore-Wind und Wasserstoff

Gerade in einer Küstenregion wie in Bremen und Bremerhaven sind die Chancen einer auch auf Landesebene gut konzipierten und erfolgreich vorangetriebenen Klimaschutzstrategie beträchtlich. Windkraft auf See und Wasserstoff sind hier vielleicht die Leuchtturmprojekte, aber auch die Vorteile eines verbesserten Verkehrssystems sowie die geringere Verletzbarkeit der Bürgerinnen und Bürger gegen hohe und schwankende Energiepreise können sich als wichtige Punkte auf der Haben-Seite erweisen.

Und weil sich die Bremische Bürgerschaft diese wichtigen und ehrgeizigen Themen auf die Agenda gesetzt hat, weil sie diese im intensiven Dialog zwischen Abgeordneten und Sachverständigen angehen will, werde ich meine energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Erfahrungen der letzten 30 Jahre gern in diese spannende Kommission einbringen.